Bei unseren Diskussionen über Altersbilder schauen wir auch immer wieder in andere Länder, sei es in die USA oder innerhalb Europas. Unser Freund Michel Noll, der auch unseren Appell hier auf dieser Website unterzeichnet hat, machte uns auf ein Manifest aufmerksam, das im Mai 2020 auf der Titelseite in Le Monde erschienen und mit 150 Unterschriften von französischen Persönlichkeiten auf den Weg gebracht worden war.
Wir sehen, auch in Frankreich hat die Corona-Krise zu einer Debatte über Altersbilder und die Herausforderungen des demographischen Wandels geführt. Noch viel zu wenig werden auch dort die Chancen des langen Lebens debattiert.
Aber Frankreich hat im Bereich des Sozialstaatlichen deutliche Unterschiede zu uns: u.a. ein früheres Renteneintrittsalter, andererseits keine Pflicht zur Pflegeversicherung.
Also auch in Frankreich beginnen erst neue Debatten – wie es scheint, auch hier mit dem leider üblichen Bild: das Altern ist eine schwierige Herausforderung. Es fehlt auch in Frankreich noch ein ganzheitliches, gesellschaftliches Nachdenken, dass das Altern nicht per se eine Defizitentwicklung ist, sondern eine Bereicherung für das gesellschaftliche Zusammenleben.
Michel Noll ist 71 Jahre und lebt seit mehr als 40 Jahren in Frankreich. Er ist in Köln geboren, hat dort Soziologie und Ökonomie studiert und ist Regisseur und Produzent, seit vielen Jahren mit dem Schwerpunkt Dokumentarfilm.
Quelle: https://www.lemonde.fr/idees/article/2020/05/26/manifeste-pour-une-revolution-de-la-longevite_6040734_3232.html — übersetzt mit Google Translate — adaptiert von Michel Noll
Kontext:
Präsident Macron hat am 13. Juni 2018 in einer seiner offiziellen Ansprachen an die Nation mitgeteilt, dass er ein neues Gesetz « Alter und Autonomie » verabschieden will und sich dazu eine öffentliche Diskussion wünscht. Die Corona-Krise macht ein solches Gesetz heute wichtiger denn je und die dazugehörende Diskussion unverzichtbar.
Manifest für eine Revolution in der Altersdiskussion
Politiker aller Richtungen, Intellektuelle, Ärzte, Gewerkschaftler, Meinungsbildner und engagierte Bürger, ein Kollektiv von mehr als 150 französischen Persönlichkeiten, rufen in der Tageszeitung <LeMonde> dazu auf, das Verhältnis zwischen den Generationen zu überdenken und alle Aktionsmittel der Gesellschaft zu mobilisieren, um der demographischen Herausforderung des Alterns künftig besser zu begegnen.
Unsere Unterschrift am Ende dieses Textes soll klarstellen, dass es JETZT für die französische Gesellschaft an der Zeit ist, die Herausforderung des längeren Lebens der Bevölkerung mit Entschlossenheit und in aller Transparenz anzunehmen.
Fachleute auf dem Gebiet der Altenhilfe, Gewerkschafter, wirtschaftliche und soziale Akteure, Verbandsmitglieder oder Politiker, Intellektuelle oder Experten, engagierte Bürger, wir alle mussten die unerbittliche Statistik zur Kenntnis nehmen: 92% der Opfer von Covid-19 in Frankreich sind 65 Jahre oder älter. Zwei Monate der Coronavirus-Krise haben unsere Aufmerksamkeit auf die Senioren gelenkt und damit sowohl unsere Mängel als auch die unbestreitbaren Vorteile ans Tageslicht gebracht oder sogar noch verstärkt, die in unserer gegenwärtigen Alterspolitik verankert sind.
Da wir alle eines Tages alte Menschen werden, erscheint es uns wichtig, dass wir neben den ökologischen und digitalen Übergängen den demographischen Wandel jetzt als eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anerkennen. Diese Erkenntnis ist umso dringlicher, als die französische Gesellschaft vor einer doppelten Herausforderung steht. Erstens demographisch: ab 2025 bis 2030 werden wir aufgrund der Ankunft der „Boomer“, geboren nach 1945, im Alter von 80 bis 85 Jahren auf eine dreifache Schwierigkeit stoßen — mehr Rentner, mehr Anfälligkeit, mehr Abhängigkeit. Und zweitens soziologisch: die « neuen Alten », die ab 1945 geborenen Bürger, haben uns mitten in der Krise zu Recht daran erinnert, dass Alter keine Identität ist. Diese Generation, die im Mai 1968 18 Jahre und im April 2020 70 Jahre alt ist, hat ihren Standpunkt klar zum Ausdruck gebracht, als die Altersgrenze in Betracht gezogen (und glücklicherweise aufgegeben) wurde, um diese « neuen Alten » nach dem 11. Mai weiter im Lockdown zu lassen: « Sie werden nichts mehr gegen uns tun ». Oder, besser noch: « Sie werden nicht mehr ohne uns auskommen ».
Diese historische Situation verpflichtet uns, das Zusammenspiel zwischen den Generationen zu überdenken und neu zu definieren. Während dieser Krise war es der Virus, der altersbezogen war, nicht die Franzosen, die, um die Schwächsten zu schützen, große Solidarität bewiesen und drastische Lockdown-Bedingungen akzeptierten. In einer Gesellschaft, in der ein Viertel der Bürger im Ruhestand ist und in der im Jahr 2050 die über 85-Jährigen 7% der Bevölkerung ausmachen werden, halten wir eine Neudefinition des sozialen Konsenses für unverzichtbar. Ein Gesellschaftsmodell, das Generationen verbindet, in dem die volle Staatsbürgerschaft älterer Menschen und ihrer Angehörigen garantiert ist, in dem Rentner familiäre Solidarität dadurch ausdrücken, dass sie sich um Enkelkinder kümmern, ältere Eltern unterstützen und wichtige Vermittler für Geschichte, Bildung und Erfahrung darstellen. Und damit schließlich wichtige Säulen der Gesellschaft sind. Wie viele Gemeinden und Vereine funktionieren heute nur noch durch die Mitarbeit von Rentnern?
Wir müssen die Coronavirus-Krise zum historischen Anlass nehmen, unsere Altersbilder zu revidieren. Das Alter wirkt depressiv, das Alter macht Angst, die Abhängigkeit versetzt in Angst und Schrecken. Um diese Aspekte der Angst zu überwinden, müssen wir als Erstes den Willen vieler Franzosen respektieren, die zu Hause statt in Heimen altern wollen. Wir müssen die Mittel dazu bereitstellen, um unsere Wohnungsbaupolitik anzupassen, die Organisations- und Finanzierungsmethoden für Haushaltshilfsdienste reformieren, alternative Unterbringungsformen massiv entwickeln und die Rolle der familiären Pflegekräfte, die oft selbst älter sind, anerkennen und stärken.
« Eine altersfreundliche Stadt »
Gleichzeitig müssen wir aufhören, Einrichtungen, die sich auf die Versorgung der fragilen älteren Menschen spezialisiert haben, nicht genügend Mittel zur Verfügung zu stellen und sie damit zum idealen Sündenbock unseres schlechten Gewissens zu machen. Statt auf Altersheime zu schimpfen ist es besser, gemeinsam ihre Rolle und ihre Mittel im Sinne einer tiefgreifenden Transformation zu überdenken, da sie, wie auch immer, für viele notwendig bleiben werden.
Wie in unseren Krankenhäusern besteht in der Tat ein dringender Bedarf zur Reorganisation: über Management, Ressourcen und Fachleute in Altersheimen muss nachgedacht werden. Jeden Abend applaudierten wir den anonymen Helfern — 85% davon sind Frauen hier in Frankreich — die für die Pflege und Unterstützung älterer Menschen zu Hause und in Institutionen gesorgt haben. Die hier in Frankreich anstehende grundlegende Reform zum Gesundheitswesen (« Ségur de la Santé ») muss einen Plan zur Mobilisierung und Förderung dieser Berufe integrieren. Wir schulden ihnen mehr als ein technokratisches Gesetz, das ältere Menschen erneut in unangemessene gesundheitliche und medizinisch-soziale Modelle zwingen würde. Wir müssen Frankreich zu einer Gesellschaft des langen Lebens und der natürlichen Solidarität zwischen den Generationen umwandeln. Natürlich soll die Verpflichtung des Präsidenten vom 13. Juni 2018 eingehalten werden, ein Gesetz “Alter und Autonomie” zu verabschieden, aber es muss von einer echten nationalen Strategie des demographischen Wandels in den Jahren 2020–2030 begleitet werden.
Das Gesetz muss vorausschauend sein — im Einklang mit einem demographischen Wandel, der durch ein Anwachsen der Lebenserwartung zwischen 2030 und 2050 gekennzeichnet ist — und alle Hebel der Gesellschaft mobilisieren. Wir wollen, dass Frankreich eine massive und unterstützende Politik der Anpassung der Wohnungen an das Altern verfolgt, damit jeder so lange wie möglich zu Hause leben kann. Wir wollen eine “altersfreundliche Stadt”, in der jeder Zugang zu allen notwendigen Geschäften und Dienstleistungen hat, die die Mobilität erleichtert und Innovationen und digitale Technologien zum Nutzen älterer Menschen mobilisiert. Wir wollen ein Gesetz zusammen mit einer nationalen Strategie, die die Auswirkungen des Alterns auf Regionalplanung und Beschäftigung berücksichtigen, denn morgen werden wir nicht so altern wie heute, ob wir in der Innenstadt leben, in stadtnahen Gebieten im Umland oder auf dem Land.
« Ein vorsorgendes Gesetz »
Wir wollen ein Gesetz, in dem Prävention eine wesentliche Rolle spielt: Förderung angepasster körperlicher Aktivitäten, Bekämpfung von Unterernährung, Verhinderung von Stürzen, die 9.000 Todesfälle pro Jahr verursachen. Ebenso wichtig ist eine Mobilisierung gegen soziale Isolation, von der hier in Frankreich 900.000 ältere Menschen betroffen sind. Wir müssen versuchen depressive Störungen zu vermeiden, jährliche Influenza-Impfungen einführen…. viele, viele Maßnahmen, die wesentlich für eine fürsorgliche und vorsorgende Gesellschaft sind. Schließlich wird es notwendig sein, alte Praktiken zu novellieren, ob es um die Trennung von pflegenden und medizinisch-soziale Methoden geht oder die Alternative zwischen Unterbringung und eigenem Wohnsitz oder zwischen nationaler Steuerung und lokaler Selbstverwaltung.
Und es muss finanziert werden. Wir sind uns der Schwierigkeiten eines post-Covid wirtschaftlichen Kontextes bewusst und dürfen es nicht zulassen, dass die Haushaltsentscheidungen nach der Krise den notwendigen Anstieg der öffentlichen Ausgaben in der Altersfrage vergisst.
Die jüngste Ankündigung der Schaffung eines durch die Sozialversicherung abgesicherten “fünften Risikos” [nach Alters‑, Krankheits‑, Familien- und Arbeitsunfällen] geht mit drei Grundgedanken offensichtlich in die richtige Richtung: erstens darf die Reform der Alters-politik nicht auf die einzige Frage der Finanzierung des Autonomieverlustes beschränkt sein; zweitens müssen neue Mittel schon ab 2021 gefunden werden; und drittens muss der für die Langzeitpflege bestimmte Etat von derzeit 25 Milliarden Euro im Laufe der nächsten 10 Jahre progressiv um 10 Milliarden Euro erhöht werden. Eine Entscheidung, die heute getroffen werden sollte und in die langfristige Planung unserer öffentlichen Finanzen einbezogen werden muss.
Dieses Manifest ist jedoch nicht nur ein Appell an die öffentliche Hand: es kann viel, aber nicht alles. Wir wünschen uns einen Wandel der Gesellschaft als Ganzes. Wie diese Krise unter anderem gezeigt hat, entstehen viele Ressourcen, Projekte und Innovationen mitten in unserer Gesellschaft, in Regionen, in Unternehmen sowie in Verbänden und Vereinen der zivilen Gesellschaft. Wir müssen alle unsere Praktiken hinterfragen und an diese Revolution der Altersdiskussion anpassen. Wir richten diese Botschaft sowohl an den Staat als auch an uns selbst. Es liegt in unserer eigenen Verantwortung, in unseren Unternehmen und Institutionen, in unseren Verbänden und Gemeinden, in unseren Parteien und Gewerkschaften, in unseren Veröffentlichungen und intellektuellen oder künstlerischen Produktionen. Dort müssen wir alle dieses Thema dezidiert aufgreifen und gemeinsam den demographischen Wandel zum Erfolg führen. Das Altern ist eine Chance. Lassen Sie uns diese Chance nicht zu einem Problem machen.
Laure Adler, essayiste, productrice à France Inter ; Bruno Arbouet, directeur général d’Action logement ; Florence Arnaiz-Maumé, déléguée générale du Syndicat national des établissements et résidences privés pour personnes âgées (Synerpa) ; Thierry Beaudet, président de la Mutualité française ; Christophe Béchu, maire d’Angers ; Vanik Berberian, président de l’Association des maires ruraux de France ; Laurent Berger, secrétaire général de la CFDT ; Jean-Marc Borello, président du groupe SOS ; Christophe Bouillon, président de l’Association des petites villes de France ; Luc Broussy, cofondateur du think tank Matières grises ; Pascal Bruckner, essayiste ; Dominique Bussereau, président de l’Association des départements de France ; Anne Caron-Déglise, magistrate ; Jean- Christophe Combe, directeur général de la Croix-Rouge ; Benoît Coquart, PDG de Legrand ; Thierry d’Aboville, secrétaire général de l’ADMR (Aide à domicile en milieu rural) ;Michèle Delaunay, ancienne ministre déléguée aux personnes âgées ; Carole Delga, présidente de la région Occitanie ; Marie-Sophie Desaulle, présidente de la Fédération des établissements hospitaliers et d’aide à la personne (Fehap) ; Alain Dinin, président de Nexity ; Patrick Doutreligne, président de l’Union nationale interfédérale des œuvres et organismes privés non lucratifs sanitaires et sociaux (Uniopss) ; Michel Drucker, producteur de télévision ; Gérard-François Dumont, démographe, directeur de « Population & Avenir » ; Jean-Louis Dumont, président de l’Union sociale pour l’habitat (USH) ; Myriam El Khomri, ancienne ministre, auteure d’un rapport sur les métiers du grand âge ; Christian Estrosi, maire de Nice ; Marie-Françoise Fuchs, présidente d’honneur d’Old Up ; Louis Gallois, président de la Fédération des acteurs de la solidarité ; Jean-Laurent Granier, PDG de Generali France ; Jérôme Guedj, cofondateur du think tank Matières grises ; Olivier Guérin, président de la Société française de gériatrie et de gérontologie ; Armelle de Guibert, déléguée générale des Petits Frères des pauvres ; Marie de Hennezel, psychothérapeute et écrivaine ; Anne Hidalgo, maire de Paris ; Emmanuel Hirsch, président de l’Espace éthique d’Ile-de-France ; Joël Jaouen, président de France Alzheimer ; Claude Jeandel, président du Collège professionnel des gériatres ; Axel Kahn, président de la Ligue contre le cancer ; Thierry Lajoie, président de Grand Paris aménagement ; Florence Leduc, présidente de l’Association française des aidants ; Dominique Libault, président du Haut Conseil pour le financement de la protection sociale ; Eric Lombard, directeur général de la Caisse des dépôts ; Patrick Malphettes, président d’Adédom ; Joëlle Martineaux, présidente de l’Union nationale des Centres communaux d’action sociale (Unccas) ; Pierre Mayeur, délégué général de l’Organisme commun des institutions de rente et de prévoyance (Ocirp) ; Marie-Anne Montchamp, présidente de la Caisse nationale de solidarité pour l’autonomie (CNSA) ; Renaud Muselier, président de la région Sud, président de Régions de France ; Antoine Parisi, directeur général d’Europ Assistance ; Patrick Pelloux, médecin urgentiste ; Eric Piolle, maire de Grenoble ; Guillaume Quercy, président de l’Union nationale de l’aide, des soins et des services aux domiciles (UNA) ; François Rebsamen, maire de Dijon, président du Réseau francophone des villes amies des aînés ; André Renaudin, directeur général d’AG2R-La Mondiale ; Gérard Rivière, président (FO) du conseil d’administration de la Caisse nationale d’assurance vieillesse (CNAV) ; Jean-Marie Robine, démographe ; Johanna Rolland, maire de Nantes ; Alain Rousset, président de la région Nouvelle-Aquitaine ; Philippe Serre, président de la Fédération nationale des associations de retraités (FNAR) ; Pierre-Henri Tavoillot, philosophe ; Frédéric Valletoux, président de la Fédération hospitalière de France (FHF) ; André Viola, président du conseil départemental de l’Aude ; Alexandre Viros, directeur général d’e‑Voyageurs SNCF ; Philippe Wahl, PDG du groupe La Poste ; Patrick Weil, historien, président de Bibliothèques sans frontières
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