An dieser Stelle wollen wir Ihnen immer wieder Frauen und Männer vorstellen, die anders älter werden als ihre Eltern und Großeltern, die ungewöhnliche Wege gehen, länger arbeiten als viele in ihrem Alter oder die nach der Arbeitsphase neues erproben. Menschen, die unsere ‚Altersbilder’ neu bereichern, vielleicht auch im besten Sinne irritieren, die Impulse geben und uns anregen, über neues oder ungewöhnliches auch für uns selbst nachzudenken.
Und wir berichten hier über Initiativen und Gruppen, die diesem Thema der ‚neuen Altersbilder’ bereits mit ähnlich Denkenden nachgehen, sich zusammengetan haben, systematisch Veranstaltungen oder Veröffentlichungen dazu machen. Initiativen, die uns zeigen, dass schon längst etwas in Bewegung und eine ‚neue Erzählung des Älterwerdens’ überfällig ist.
Wir starten mit Birgit Hutter. Sie ist seit 40 Jahren als Kostümbildnerin für Film, Fernsehen und Theater tätig. Sie studierte Malerei in Wien und New York sowie Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Sie arbeitete mit Vivienne Westwood, lehrte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien. Und: sie erhielt 2017 den Akademiepreis Platin-Romy für ihr Lebenswerk, mit einer Laudatio von John Malkovich.
Sie sind Kostümbildnerin, 79 Jahre und sind bzw. waren immer berufstätig. Was lieben Sie an Ihrer Arbeit?
Ja, ich habe immer gearbeitet, schon während meiner Studienzeit und habe Gott sei Dank noch immer Aufträge, die mich freuen und auch ehren… ich liebe es mit vielen Menschen zusammen in einem Team zu arbeiten.
Was löst bei Ihnen der Begriff ‚Ruhestand’ aus?
„Ruhestand“, das Wort kommt in meinem Wortschatz nicht vor.
Welche Bedeutung hat ‚Arbeit’ in Ihrem Leben?
Eine sehr große Bedeutung, meine Arbeit als Kostümbildnerin ist mein Leben.
Ist es in einem künstlerischen Beruf einfacher, ein Leben lang zu arbeiten?
Da gibt es Unterschiede, primärschöpfende Künstler wie Dichter, Maler, Komponisten und sekundärschöpfende, wie mich, die ein Team brauchen und einen Auftrag…
Die primärschöpfenden können ja immer arbeiten, wenn sie Lust haben und auch an allen Orten ihrer Wahl… daher ist es einfacher für sie, ihren künstlerischen Beruf bis zum Lebensende auszuführen.
Am Film Set, aber auch im Theater, sind auch enorm viele junge Menschen involviert. Wie ist das Zusammenspiel zwischen Älteren und Jüngeren? Was ist Ihre Erfahrung?
Ich liebe junge Menschen. Ich habe 4 Kinder und bin mit allen ihren Freunden seit ihrer Kindheit befreundet. Daher ist es für mich wunderbar am Set und auch bei der Vorbereitung in der Kostümabteilung mit den vielen jungen Menschen zusammen an dem neuen Projekt zu arbeiten.
Gab es irgendwann in den letzten 20 Jahren schon einmal die Erfahrung, dass jemand wegen Ihres Alters gezögert hat, Sie zu engagieren?
Ja, das gabs, aber ich habe mich nicht sonderlich damit beschäftigt. Den Film hat dann eine junge Kollegin gemacht und der Film wurde ein totaler Flop…da gibt es nichts dazu zu sagen…
Sehen Sie die Gefahr, dass die Corona-Debatten hier etwas in Zukunft ändern könnten?
Nein, das sehe ich nicht als Gefahr, aber ich habe den Eindruck, dass es den Regisseuren nicht mehr wichtig ist, gut ausgebildete Kostümbildner zu beschäftigen. Es bleibt viel dem Zufall überlassen…
Wie sind Ihre Eltern/Großeltern alt geworden?
Meine Großeltern und Eltern sind relativ alt geworden so zwischen 75 und 85 Jahre, und sind durch Krankheit gestorben. Arbeit spielte da weniger eine Rolle, meine Mutter war eher Ehefrau.
Hatten Sie Vorbilder? Gab es für Sie ‚Role Models’ für ein anderes Älterwerden? Wie leben Ihre Freundinnen und Freunde?
Ich hatte keine Vorbilder, ich habe mir mein Leben selbst gestaltet, ich habe viel für meinen Körper gemacht, viel getanzt, viel und gerne geturnt, gesund gekocht und viel gelacht…
Gibt es in Ihrer Beobachtung Unterschiede bei Frauen und Männern im Prozess des Älterwerdens?
Nein, glaube ich nicht. Eher ähnlich und doch anders: die vielen Frauen, die sich operieren lassen und damit glauben, den Altersprozess zu verzögern.…. Die Männer hingegen, fürchten ihre Position des Verführers im Alter zu verlieren…
Gibt es in Österreich einen Diskurs über ‚neue Altersbilder’? Spielt dies in der öffentlichen Debatte eine Rolle? Hat es eine politische Konsequenz?
Natürlich gibt es Diskussion über neue Altersbilder, wie überall in Europa und ich habe schon den Eindruck, dass das Alter, vor allem bei Künstlern respektiert und hochgeschätzt wird.
Und politisch, da hatten wir ja fast ein halbes Jahr eine Übergangsregierung, bestehend aus vielen Pensionisten, die sich sehr gut gehalten hat. Jetzt allerdings haben wir unseren jungen Tausendsassa Jesus Christus namens Kurz, der alles in der Hand hat… so scheint es.
Sie haben in Österreich, aber auch in vielen anderen Ländern gearbeitet. Sehen Sie Unterschiede in verschiedenen Ländern und Kulturen? Gibt es unterschiedliche Narrative über das Älterwerden in andern Ländern?
In Europa wird eigentlich überall das Alter dank seiner Erfahrung hochgeschätzt, in Amerika muss man jung, sehr jung sein, um weiter zu kommen.
In Deutschland gibt es derzeit Berichte darüber, dass ältere Menschen aus Drehbüchern ‚herausgeschrieben’ werden, da sie eine ‚Risikogruppe’ seien. Kennen Sie ähnliche Vorgänge oder Berichte aus Österreich?
Ich habe davon gehört, weiß aber nicht, ob das auch bei uns so gehandhabt wird…Grundsätzlich möchte ich sagen, dass ich mich sehr privilegiert fühle, weil mein Beruf meine Leidenschaft ist und ich ohne das nicht leben kann…
Vielen Dank für dieses interessante Gespräch!